Die Wirtschafts- und Finanzsanktionen gegenüber Russland richten große Schäden an. Doch der Westen scheint mit ihnen nicht den politischen Zielen, die er erreichen will, näherzukommen.
Von Prof. Dr. Thorsten Polleit
Von Prof. Dr. Thorsten Polleit
Es ist unklar, ob es allein der fallende Ölpreis und die Handelsrestriktionen sind, die Russland unter Druck setzen. Vermutlich bringen vor allem die finanziellen Sanktionen, die die USA erlassen haben, das Land in arge Bedrängnis.(1)
Im Zuge ihrer "Financial Warfare" haben die USA russische Banken und Firmen zusehends von den internationalen Aktienmärkten abgeschnitten, vor allem von den ausländischen Kreditmärkten: Eine Reihe von russischen Unternehmen erhält keine langfristigen Kredite mehr und ist zusehends auf kurzfristige Kredite (30- Tage-Laufzeit) angewiesen. Dies wiederum dürfte zusätzlich zu den verringerten Öleinnahmen die finanzielle Position Russlands und das dem Land entgegengebrachte Vertrauen schwächen und letztlich zu Kapitalflucht führen.
Russische Unternehmen haben derzeit Auslandschulden in Höhe von etwa 422,4 Mrd. US-Dollar, Banken in Höhe von 192,0 Mrd. US-Dollar. Dem standen Ende November frei verfügbare Fremdwährungsreserven des Staates in Höhe von gut 360 Mrd. US-Dollar (ohne Goldbestände) zur Verfügung. Mitte 2014 waren 60 Prozent aller Auslandsschulden in US-Dollar denominiert, 11 Prozent in Euro und 26 Prozent in Rubel.
Sollten russische Banken und Unternehmen nicht in der Lage sein, ihre Auslandsverbindlichkeit wie vereinbart zu zahlen, drohen den Haltern der von ihnen emittierten Papiere - Kapitalsammelstellen in Europa und den USA und anderswo auf der Welt - Verluste, die letztlich die Sparer zu tragen haben. Zudem wären Vertrauensverluste in den weltweiten Kreditmärkten denkbar, die sich zu einer "Kreditkrise" auswachsen könnten. Kapital würde zusehends aus den 'Emerging Markets‘ abgezogen und Kreditfinanzierungsprobleme in den betroffenen Ländern auslösen; zu denken wäre etwa an die Türkei, Brasilien und Südafrika.
Nicht zuletzt hängt Europas Energieversorgung an Russland. Für Deutschland etwa sind Öl und Gas die Hauptenergieträger mit einem Anteil von zusammen 55 Prozent am Gesamtenergieverbrauch. Russland ist Hauptlieferant und stellt jeweils etwa ein Drittel des Bedarfs bereit. Lieferstörungen können weitreichende Wirtschaftsschäden nach sich ziehen, gerade natürlich für die deutsche Wirtschaft.
In einer eng vernetzten internationalen Arbeitsteilung ist das wirtschaftliche Wohlergehen eines jeden Teilnehmers im Interesse aller. Die Wirtschaftssanktionen, die gegen Russland erlassen werden, führen zu einer Schädigung aller Beteiligten: Der russischen Bevölkerung gehen Arbeitsplätze und Einkommen verloren, ihre Versorgungslage verschlechtert sich. In Europa, insbesondere Deutschland, werden ebenfalls Produktion und Beschäftigung leiden, und zudem wird die Handlungsfreiheit der Konsumenten und Unternehmen eingeschränkt.
Für den Westen könnte es schwierig werden, seine Sanktionen gegenüber Russland aufrecht zu erhalten, sollten sie zu noch größerer Not in der russischen Bevölkerung führen. Es wäre dann sogar denkbar, dass die Sanktionen aufgehoben werden (müssen), ohne dass es zu Konzessionen von russischer Seite kommt. Die ökonomische Einsicht würde obsiegen: Wirtschafts- und Finanzsanktionen sind nicht geeignet, um politische Ziele durchzusetzen und führen in jedem Fall zur Schädigung aller Betroffenen.